Grenzen heilen: Wie Trauma unsere Grenzen beeinflusst & 5 somatische Schritte, um sie zurückzugewinnen
- Rebecca Rinnert
- 20. Okt.
- 4 Min. Lesezeit

Wenn dein Körper „Nein“ sagt – aber dein Mund „Ja“
Du nimmst dir fest vor, beim nächsten Mal etwas zu sagen.Doch sobald der Moment kommt, zieht sich dein Hals zusammen, dein Herz schlägt schneller – und deine Stimme bleibt weg. Du lächelst stattdessen, um keinen Streit zu riskieren.
Das ist, was passiert, wenn Trauma auf Grenzen trifft.
Für viele Menschen mit traumatischen Erfahrungen fühlt sich „Nein“ sagen gefährlich an – nicht, weil sie es nicht wollen, sondern weil ihr Nervensystem gelernt hat, dass Sicherheit bedeutet, sich anzupassen.Das zu verstehen, ist der erste Schritt zur Heilung deiner Grenzen.
Wie Trauma unsere Grenzen verändert
Grenzen sind kein rein psychologisches Konzept – sie sind eine körperliche Erfahrung.Wenn ein Trauma geschieht, verändert es, wie dein Körper Gefahr, Nähe und Autonomie wahrnimmt.
1. Die Fawn-Reaktion – Sicherheit durch Anpassung
In bedrohlichen Momenten reagieren wir mit Kampf, Flucht, Erstarrung – oder Fawning: Wir versuchen, andere zufriedenzustellen, um sicher zu bleiben.Wenn diese Strategie über Jahre notwendig war, kann es heute schwerfallen, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen oder zu priorisieren.
2. Trennung vom Körper
Viele traumatisierte Menschen fühlen sich innerlich taub oder „abgeschnitten“.Wenn du die Signale deines Körpers – Spannung, Enge, Müdigkeit – nicht mehr spürst, verlierst du auch den inneren Kompass, der sagt: „Das fühlt sich nicht gut an.“
3. Angst vor Konflikt oder Zurückweisung
Wenn dein „Nein“ früher mit Wut, Strafe oder Liebesentzug beantwortet wurde, speichert dein Körper: „Nein sagen = Gefahr“.Selbst als Erwachsene reagiert dein Nervensystem noch so – lieber anpassen, als Risiko eingehen.
4. Verlust des Selbstgefühls
Lang andauernde Grenzverletzungen führen oft dazu, dass man die eigenen Bedürfnisse kaum noch kennt.Ohne klare innere Grenzen übernimmst du vielleicht unbewusst die Emotionen anderer – und verlierst das Gefühl, wo duaufhörst und der andere beginnt.
Warum somatische Grenzarbeit so wirksam ist
Kognitives Verstehen allein reicht nicht aus, um ein Nervensystem zu verändern, das auf Überleben programmiert ist.Du kannst wissen, dass du Grenzen brauchst – und dich trotzdem unfähig fühlen, sie zu setzen.
Somatische Grenzheilung setzt genau hier an.Sie bringt dich über das Denken zurück ins Fühlen: in deinen Körper, in dein Hier und Jetzt.
Methoden wie Somatic Experiencing (SE), traumasensitives Yoga oder TRE (Tension & Trauma Releasing Exercises) helfen, dein Nervensystem neu zu regulieren.Du lernst, deine innere Sicherheit wiederzufinden – und zu spüren, wann etwas ein Ja oder ein Nein ist.

5 somatische Schritte, um deine Grenzen zurückzugewinnen
1. Spüre deine Ränder
Schließe die Augen und nimm wahr, wo dein Körper die Welt berührt – deine Haut, den Stuhl unter dir, deine Atmung.Stell dir ein sanftes Licht um dich herum vor, das deine persönliche Grenze markiert.
Übung:Stehe auf, strecke die Arme aus und spüre den Raum, den du einnimmst.Sag leise zu dir selbst: „Das bin ich. Das ist mein Raum.“
2. Erkenne, wie sich „Ja“ und „Nein“ anfühlen
Dein Körper spricht in Empfindungen.
Ein „Ja“ fühlt sich offen, warm oder weit an.
Ein „Nein“ fühlt sich eng, schwer oder kalt an.
Stelle dir kleine, neutrale Fragen:„Möchte ich jetzt sitzen oder stehen?“ „Will ich Wasser oder Tee?“
So trainierst du dein interozeptives Bewusstsein – die Fähigkeit, innere Signale wahrzunehmen und ihnen zu vertrauen.
3. Übe das „Stopp“-Experiment
Diese Übung stammt aus der somatischen Traumatherapie:Stell dir vor, jemand kommt langsam auf dich zu. Spüre genau, ab wann es sich zu nah anfühlt – und sag laut „Stopp“.
Halte kurz inne und nimm wahr, wie es sich anfühlt, Raum einzunehmen und dich selbst zu schützen.So lernt dein Nervensystem: Abgrenzung ist sicher.
4. Erden nach einer Grenzerfahrung
Selbst eine kleine Abgrenzung kann alte Angst oder Schuld aktivieren.Danach hilft es, dich bewusst zu erden:
Spüre deine Füße auf dem Boden
Atme tief ein und langsam aus
Schau dich um und benenne drei Dinge, die du siehst
Diese einfachen Schritte signalisieren deinem Körper: Ich bin sicher im Jetzt.
5. Grenzen im Alltag leben
Grenzen heilen nicht über Nacht – aber mit jedem kleinen Schritt wächst dein Vertrauen.
Sag: „Ich denke darüber nach“ statt sofort „Ja“
Nimm Pausen ohne dich zu rechtfertigen
Feier jeden Moment, in dem du deiner Wahrheit folgst
Mit der Zeit spürst du: Es ist sicher, dich selbst zu wählen.
Grenzen heilen heißt, zu dir selbst zurückzufinden
Gesunde Grenzen sind keine Mauern – sie sind Brücken zwischen dir und der Welt.Wenn du sie stärkst, entsteht echte Verbindung: Du kannst offen sein, ohne dich zu verlieren.
Durch somatische Heilung kehrst du zu deinem inneren Zentrum zurück – dem Teil in dir, der ruhig und klar weiß:„Ich bin wichtig. Ich bin sicher. Ich darf sein.“
Dein Nein schützt dein Ja.Und das ist die Basis für echte Freiheit und Nähe.
Häufige Fragen zur Grenzheilung nach Trauma
1. Warum fühle ich mich schuldig, wenn ich Grenzen setze?
Schuldgefühle entstehen, weil dein Nervensystem Grenzen früher mit Gefahr oder Ablehnung verknüpft hat. Mit der Zeit und durch Übung löst sich diese Verknüpfung – und dein inneres Sicherheitsgefühl wächst.
2. Kann ich Grenzen heilen, wenn ich noch in einer belastenden Situation lebe?
Ja. Beginne mit inneren Grenzen – spüre deine Körperreaktionen, nimm wahr, was sich richtig oder falsch anfühlt, und übe kleine mentale Stopps.Äußere Grenzen folgen, wenn die innere Stabilität wächst.
3. Wie lange dauert Grenzheilung?
Jeder Heilungsprozess ist individuell. Entscheidend ist nicht die Geschwindigkeit, sondern die Regelmäßigkeit – kleine Schritte, sanft, aber konsequent.
4. Was, wenn ich in Konfliktsituationen erstarre?
Erstarrung ist ein Schutzmechanismus. Versuche nicht, dich zu zwingen – bewege dich stattdessen leicht, spüre deine Füße oder atme bewusst.So kehrst du sanft ins Hier und Jetzt zurück.
5. Kann ich somatische Grenzarbeit allein üben?
Viele Übungen kannst du selbst machen. Bei tieferliegenden Traumata ist jedoch die Begleitung durch einen **traumasensiblen Therapeut*in** hilfreich, um Sicherheit und Halt zu gewährleisten.
Empfohlene Literatur
Levine, P. A. (2010). Sprache ohne Worte – Wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurückführt.
Heller, D. & LaPierre, A. (2012). Heilung von Entwicklungstrauma.
Van der Kolk, B. (2015). Verkörperter Schrecken – Traumata heilen.
Ogden, P. & Fisher, J. (2015). Sensorimotor Psychotherapy: Interventions for Trauma and Attachment.
Bereit, deine Grenzen wieder zu spüren?
Wenn du lernen möchtest, wie du nach Trauma gesunde Grenzen setzt und dich in deinem Körper wieder sicher fühlst, informiere dich über Somatic Experiencing oder vereinbare ein Erstgespräch.
Grenzen zu heilen bedeutet nicht, härter zu werden –sondern echter.
💡 Geschrieben von Rebecca
Psychologin & Somatic Experiencing Practitioner, spezialisiert auf komplexe Traumata, Nervensystemregulation und somatische Grenzarbeit.



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